Springe zum Inhalt

«Max ist da!» oder wie Kletterrouten zu ihren Namen kommen…

Jede Kletterroute hat einen Namen. So will es eine alte Tradition. Draussen benennt normalerweise der Erstbegeher eine Route, in den Kletterhallen sind es die Erbauer, die ihren Routen Namen geben. Angesichts der Fülle von Kletterrouten, die es nur schon im Alpenraum gibt, liegt es nahe, dass auch deren Namen eine grosse Bandbreite haben. Dabei sind gewisse Namen durchaus kategorisier- und vor allem nachvollziehbar – andere ganz und gar nicht…
Ganz naheliegend gibt es haufenweise Routen mit geographischen Lage-Bezeichnungen, wie «Ostgrat», «Südturm» oder «Westwändli», wahlweise ergänzt mit dem Namen des entsprechenden Gipfels – etwa «Schafbergkante». Sie lassen kaum Fragen offen. Dann gibt es zahlreiche, selbsterklärende Geländebeschreibungen: Die «Quarzader» entlang entsprechendem Gestein, der «Wasserrillenweg» oder die «Kleine Verschneidung». Solche Namen sind zugegeben nicht besonders kreativ, aber durchaus hilfreich, um den Routeneinstieg oder ihren Verlauf zu finden. Weiter gibt es eine ganze Palette von Namen, die zwar weder auf Lage noch Gelände schliessen lassen, umso mehr aber auf Bedingungen oder Geschehnisse am Begehungstag: Die Route «Herbstsonne» war vermutlich keine schattige Sommertour, der «Sonntagsweg» wurde wohl nicht mittwochs bezwungen und bei «Tante Ju» dürfte die motorisierte, alte Dame wohl gerade vorbeigeflogen sein. Weiter lassen Routennamen wie «Im Zeichen der Freundschaft» zwar durchaus auf Gefühlslagen am Tag X schliessen – mit dem Erfinden oder Ausschmücken von Geschichten, die tatsächlich zum Namen geführt haben, lassen sich aber auch stundenlange Zu- oder Abstiege füllen… Dieses Spiel funktioniert durchaus auch bei Routen mit Personennamen: Ist «Via Ursi» der Frau, der Geliebten, der Schwester oder einfach nur der Kletterpartnerin gewidmet? War «Meister Franz» schlicht ein guter Kletterer, ein siegreicher Sportler oder gar ein Lehrer aus der Jugendzeit? Und wie lange schwirrte «Romys Traum» ihr schon im Kopf herum? Übrigens erhalten schöne Linien oft auch pathetische Namen, wie etwa Sagittarius, Hannibal oder gar King Way.
Zumindest bei längeren Routen sind die Namen also oft einigermassen nachvollziehbar und wohl meist auch bewusst gewählt. Eigentlich keine Überraschung, da kaum jemand mehrere Mehrseillängenrouten am gleichen Tag oder innert einer Woche erstbegeht. Oft sind es pro Person nur einige wenige oder gar eine einzige Route im Leben. Entsprechend überlegt sind ihre Namen.
Etwas anders sieht es häufig in Klettergärten aus, wo zahlreiche, meist einzelne Seillängen nebeneinander eingebohrt sind. Wer einen Klettergarten einrichtet und innert kurzer Zeit 20 oder 30 Routennamen vergeben muss, macht sich über den einzelnen nicht mehr gleich viele Gedanken, wie der «Once-in-a-Lifetime»-Erstbegeher. Entsprechend pragmatische Namen findet man denn auch – beispielsweise «Hautentsorger», «Rauhfinger», «Zickzack» oder «Psychotest». Auch hier gibt es aber oft Routennamen, deren Herkunft man gerne genauer kennen würde – und wo der Zustieg oft nicht mehr ausreicht, sich eine entsprechende Geschichte dazu auszumalen. Was steckt beispielsweise hinter «Murmelbier», «Chasperlitheater» oder «Römerschreck»? War beim «Hippigschpängst» der Soundtrack ausschlaggebend, hat der Erstbegeher tatsächlich Geister gesehen oder mangels Ideen schlicht in seiner Musiksammlung nach Namen gesucht? Und wie bitte ist es zu «Globi der Sportfischer» gekommen, wo es noch nicht mal ein Globibuch mit diesem Titel gibt? Manchmal möchte man die Geschichte hinter den Namen aber auch gar nicht unbedingt kennen – beispielsweise, wenn die Routen «Lustmolch», «Fidläblutt» oder «Lustgarten» heissen… Stellt sich die Frage, ob Kletterer manchmal vielleicht doch etwas zu viel Zeit einsam am Fels verbringen, dann zum Beispiel, wenn ihre Fantasien in Routennamen wie «La baigneuse aux seins nus» gipfeln – die Badende mit den nackten Brüsten – notabene an einem Felsriegel mitten im Wald, wo weit und breit kein See, Fluss oder Bach zu sehen ist…
Etwas fantasieloser geht es meist in Kletterhallen zu und her, wo Routen und damit auch ihre Namen gewissermassen zu Massenware werden. Wenn ein Routenbauer an einem Tag drei, vier oder fünf Namen vergeben muss, sind diese oft wenig kreativ. Nebeneinanderliegende Routen heissen dann etwa «Tick», «Trick» und «Track», «Erdbeer», «Himbeer» und «Heidelbeer» oder auch nur «Alpha», «Beta» und «Gamma»… Letztlich vergeben aber auch Hallen-Routenbauer Namen oft einfach ganz menschlich im Zusammenhang mit Dingen, die sie gerade beschäftigen. Ein Routenbauerkollege hat mir erst kürzlich seinen zwei Monate alten Sohn Max vorgestellt. Der Name seiner neuesten Route heisst schlicht und einfach: «Max ist da!»

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert