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Von «eingefüllten Tieren» – und alternativen Bezeichnungen

Letztes Jahr verbrachten wir ein paar Tage Ferien in einem Hotel. In der Eingangshalle thronten verschiedenste ausgestopfte Waldtiere. Unsere 5-jährige Tochter war äusserst fasziniert von ihnen und schaute sich Fuchs, Hase, Hermelin und Hirschkopf schon am Ankunftstag sehr genau an.

Am nächsten Morgen beim Frühstück dann der Knaller: «Mami, können wir nachher nochmals die eingefüllten Tiere angucken?» Beinahe pruste ich meinen Kaffee über den Tisch. «Eingefüllte Tiere». Nachdem ich meinen Lachanfall erfolgreich unterdrückt und wieder einen klaren Kopf habe, denke ich über die für unser Ohr korrekte Formulierung «ausgestopfte Tiere» nach – und stelle sie wenige Sekunden später in Frage. Ist «eingefüllt» nicht irgendwie genial? Verständlich. Und eigentlich einfach ehrlich. Warum irgendwann entschieden wurde, dass ein Fuchs, der zu Deko-Zwecken für die Ewigkeit konserviert wird, als «ausgestopft» gilt, ist mir nämlich fast schon im gleichen Moment ein Rätsel. Denn «ausgestopft» klingt, als hätte man sich in Sonntagsbraten-Manier mit roher Gewalt an dem unschuldigen Tier vergangen – und hässliche Bilder von gequälten Stopfleber-Gänsen erscheinen in meinem Kopf… Von diesen düsteren Assoziationen weiss meine Tochter natürlich nichts – und das ist auch gut so.

Das eigentlich etwas seltsam anmutende Wort «ausgestopft» hatte sie schlicht vergessen und sich mit «eingefüllt» stattdessen eines sinngemässen Ausdrucks bedient. Etwas, was wir ja auch tun, wenn uns beispielsweise ein Begriff in einer Fremdsprache nicht mehr einfällt. Wir ersetzen das Wort durch ein uns bekanntes oder umschreiben es. Das geht aber nur unter einer Bedingung: Man muss die Bedeutung davon verstanden haben. Dies war bei meiner Tochter ganz offensichtlich der Fall. Viel mehr: Sie hat sich sprachlich elegant zu helfen gewusst, sich so ausgedrückt, dass wir sie zweifelsfrei verstehen. Und mein anfänglicher Beinahe-Lachanfall weicht plötzlich leisem Stolz.

Eigentlich ist es ja irre, dass wir festgefahrenen Erwachsenen uns mit zwar grammatikalisch korrekten, aber semantisch fragwürdigen Begriffen herumschlagen, während Kinder oft eine viel einfachere, ja vielleicht gar logischere oder präzisere Lösung haben. «Eingefüllt» – eigentlich hat meine 5-jährige damit den linguistischen Ballast der Erwachsenensprachwelt mit einem einzigen Wort ad absurdum geführt. Schliesslich reden wir auch von gefüllten Teigtaschen. Oder hat schon mal jemand «gestopfte Ravioli» gegessen?

Ich überlege kurz, ob ich die Variante der «eingefüllten Tiere» nicht einfach übernehme. Weil es so ehrlich klingt. Und weil Sprache eigentlich gar nicht immer kompliziert sein muss – ausser vielleicht, man ist erwachsen. Oder Sprachprofi... Denn natürlich regt sich in mir beim Gedanken an diese Formulierung auch ein gewisser Widerstand. Aber vielleicht sollte ich «eingefüllte Tiere» in Zukunft einfach nicht mehr als fehlerhafte, sondern schlicht als alternative Bezeichnung stehen lassen? Nicht falsch – einfach anders.

Übrigens, Kindern kann man ja sowieso kaum was vormachen. So hat meine Tochter natürlich trotz erfolgreich unterdrücktem Lachkrampf mitbekommen, dass ich ihren Ausdruck anfänglich weit mehr als nur amüsant fand – und war darüber verständlicherweise ziemlich entrüstet. Deshalb schaue ich sie versöhnlich an und sage: «Gut, gehen wir die eingefüllten Tiere anschauen!»

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